Ein Herz fürs Klima

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Hand auf’s Herz: wann haben Sie das letzte Mal Herz gegessen? Noch nie? Es läuft Ihnen kalt den Rücken runter, wenn Sie nur daran denken? Da denken Sie schon lieber an das Fondue Chinoise zurück, dass Sie an Weihnachten gegessen haben? Haben Sie sich beim Fondue Chinoise – es war bereits so praktisch vorgeschnitten und auf einer Plastikplatte angerichtet, die aussah, als wäre sie aus teurem Tafelsilber – gefragt, woher das Fleisch gekommen ist? Wenn Sie sich einfach für ein Aktionsangebot beim Grosshändler entschieden haben, ist die Chance gross, dass das Rind in der Ukraine, Südamerika oder Australien aufgewachsen ist.

Vor ein paar Tagen habe ich ein Interview mit Christian Jörg gelesen. Der Schweizer Bauer ist heute im Management der Saudi Agricultural and Livestock Investment Company zuständig für die Versorgungssicherheit Saudi-Arabiens und betreibt in der Ukraine und in Australien zwei Bauernhöfe. Zwei Bauernhöfe? Für ganz Saudi-Arabien? Ja! Beide Betriebe bewirtschaften je eine Fläche von 220’000 Hektaren. Die beiden Betriebe zusammen bewirtschaften also eine Fläche so gross wie alle Ackerflächen der Schweiz zusammen, von Schaffhausen bis Genf. Ein paar Fakten gefällig? «Die Traktoren fahren automatisch, da sitzt kein Mensch mehr in der Kabine. Wir arbeiten mit Drohnen, Satelliten, Big Data. Der Kontrollraum sieht aus wie jener im Flughafen Zürich.» Und: «Wir haben eine Schlachtkapazität von 30’000 Rindern, pro Tag!».

In diesem Zusammenhang kommt mir ein Gespräch in den Sinn, welches ich vor einiger Zeit mit einem Freund hatte, welcher als Agronom ETH eine Ahnung davon hat: Wir Schweizer neigen auch beim Essen dazu, uns das Filetstück zu sichern. Und da ein Tier nun mal nur ein Filet hat, importieren wir sehr viel Fleisch aus dem Ausland, wo es ausserdem sehr viel billiger «hergestellt» wird. In Südamerika werden die meisten Rinder in sogenannten Feedlots gemästet, also auf grossen überdachten Mastplätzen. Diese Rinder gehen nicht auf die Weide. Die Betreiber mähen nicht selbst Gras, sondern kaufen Futtermittel wie Soja auf dem globalen Markt. Um die steigende Nachfrage zu decken, wird das zunehmen: Regenwald wird abgeholzt, um neue Agrarflächen zu bewirtschaften.

In letzter Zeit werden viele Diskussionen darüber geführt, was wir in der kleinen Schweiz denn überhaupt tun können, damit das Klima dem Planeten nicht den Garaus macht. Dass ein argentinisches Rindsfilet oder ein neuseeländisches Lamm wort- und sprichwörtlich nicht die naheliegende Lösung ist, leuchtet ein.

Damit kommen wir zurück zum Herz: seit einiger Zeit macht der Begriff «Nose to Tail» die Runde. Viele Gastronomen werben damit und wollen sich damit ein nachhaltiges Image geben. Wenn man dann aber auf die Speisekarte schaut, stehen dort allerdings weiterhin Entrecôte, Steak und Filet. Ein Nierstück gilt bereits als mutig, eine Haxe als das äusserste, was man seinen Gästen zumuten kann. Selbstverständlich wäre es falsch, die Schuld alleine den Gastronomen in die Schuhe zu schieben. Auf einer Speisekarte steht ja nur, was die Gäste auch bestellen. Und seien wir ehrlich: Wann haben Sie zum letzten Mal Nierchen gegessen? Milken, Kutteln, Zunge? Kalbskopf?

Bei Nose to Tail geht es meiner Meinung nach nicht um eine Mutprobe oder die eigene Kühnheit. Häufig denkt man dabei an Blut und Schleim, welche zwar ein integraler Bestandteil, aber eben nur ein Teil des komplexen Netzwerks der Natur sind. Fleisch und Gemüse besteht aus Blättern, Muskeln, Stängeln, Knollen, Organen und Innereien. Nose to Tail ist vielmehr eine Art zu leben und mit der Welt ganzheitlich umzugehen.

Das Herz ist dabei quasi die Seele des Ganzen: nichts bringt das Wesen eines Tiers besser zum Ausdruck. Ein Ochsenherz schmeckt wie die Essenz eines Ochsen. Das Lammherz vereint den ganzen Geschmack dieses Tieres. Und nichts ist filigraner als ein Hühnerherz. Es ist erstaunlich, wie zart so ein Herz ist, wenn man bedenkt, wie hart es arbeitet.

Probieren Sie es aus! Fragen Sie das nächste Mal den Koch, ob er Ihnen ein Herz zelebriert. Stöbern Sie im Kochbuch Ihrer Grossmutter: Sie werden wunderbare Rezepte finden. Falls es Sie bei der Vorstellung graust, wäre es ehrlicher, wenn Sie das nächste Mal statt eines Filets einen Lauch bestellen. Ob Herz oder Filet: das Tier ist dasselbe. Bloss hat das Herz etwas weniger Fett.